

Courtesy of the National Library of Medicine[/caption] Das menschliche Gehirn nutzt unsere erlernten Konzepte, um die uns umgebende Welt zu „simulieren“ und die empfangenen Impulse entsprechend zu deuten. Das trifft auch auf jene chemischen Substanzen zu, die Gerüche und Geschmäcker erzeugen. Die Zuweisung der sensorischen Besonderheit zu einem bestimmten Gefühl ist konstruiert. Mentale Phänomene können als Kombination aus Vorhersage und sensorischer Information verstanden werden – dazu zählen auch Tagträume, Erinnerungen, Halluzinationen, der Placebo-Effekt, Meditation, Fantasien und optische Täuschungen. [caption id="attachment_6664" align="alignleft" width="840"]

Ölkreide auf Leinwand
Courtesy of the artist and Massimo De Carlo, Milan/London/Hong Kong[/caption] Matt Mullican entwirft seit den frühen 1970er Jahren aus einer subjektiven Weltsicht erschaffene modellhafte Kosmologien. Er beschäftigt sich intensiv mit dem Phänomen der Wahrnehmung als unbewusster Prozess einer sinnlichen Rezeption von Realität. Zwischen einer persönlichen Weltbeziehung und den als universell geltenden Weltanschauungen unserer Zivilisation erforscht er das Verhältnis von Abbild und Bezeichnung und versucht – als Legastheniker – Sprache und Zeichen über ihren Code hinaus Bedeutung zu geben. Mullican experimentiert immer wieder mit bewusstseinserweiternden Substanzen und erforscht ihre Auswirkungen auf seine Wahrnehmung und Kreativität. [caption id="attachment_6665" align="alignleft" width="768"]

Gravierter Stein[/caption] Die Arbeiten der Künstlerin Mariechen Danz thematisieren den Menschen in seiner Verkörperung, gekoppelt an das menschliche Konzept von Wissen und die Doppelrolle des menschlichen Körpers als sich selbst erhaltendes, (re-)produzierendes System und als Gegenstand der wissenschaftlichen Reflexion zugleich. Das Gehirn als körperliches Zentrum des Wissens ist dabei ein wiederkehrendes Symbol. Die Skulptur Imprint Pressures (2013) besteht aus Stein und trägt den reliefhaft eingepressten Abdruck einer menschlichen Hand – ein erstes Zeichen des Ausdrucks und der Identifikation des Menschen, von frühzeitlichen Höhlenmalereien bis zur Authentifizierung im Informationszeitalter. In Zusammenarbeit mit Genghis Khan Fabrication Co. (Alvaro Guillen) entwickelte die Künstlerin eine neue Arbeit der Serie Modular Glyphic System (2013/2017), eine Installation aus quadratischen Aluminiumplatten, die modular kombiniert und räumlich zusammengesetzt werden können. Sie sind mit unterschiedlichen Zeichen, Piktogrammen und Zeichnungen bedruckt, wie beispielsweise dem menschlichen Verdauungsapparat (das „Bauchgefühl“), der Wirbelsäule („Rückgrat beweisen“) oder Elementen unseres Gehörsinns (wie Hammer, Amboss und Steigbügel im menschlichen Ohr), die wesentlich mit dem körperlichen Gleichgewicht zusammenhängen. Wissen wird nicht allein über Gehirn und Bewusstsein vermittelt, das körperliche Erfahren von Raum, Temperatur oder Oberflächen trägt dazu ebenso sehr bei. [gallery type="square" columns="2" size="full" ids="6666,6667,6668"] Mit bedruckten Kuhfellen verweist die Serie Shamanistic Travel Equipment/Coats von Sarah Ancelle Schönfeld auf schamanistische Praktiken des Reisens in andere Welten. Der Mantel des Schamanen ist ein grundlegendes Werkzeug für die Reise, die eine Begegnung mit anderen Bewusstseinszuständen, Entitäten, Realitäten und Regeln ermöglicht. Der ins Universum reisende Mensch der heutigen Zeit wiederum hat seine helfenden unentbehrlichen Technologien bei sich, um diesen radikal anderen Bedingungen körperlich zu begegnen. Die Künstlerin kombiniert Mythen und Weltmodelle indigener Kulturen und deren Kosmologien mit Referenzen an heutige Technologien, Raumfahrt und Werke der Science-Fiction. Schönfeld bezieht sich dabei auf den brasilianischen Theoretiker und Anthropologen Eduardo Viveiros de Castro, der Schamanismus als „kosmische Diplomatie“ bezeichnet und konstatiert, dass die Beziehung zwischen Natur und Kultur neu überdacht werden muss. „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“ Arthur C. Clarke [caption id="attachment_6669" align="alignleft" width="840"]

Im Film verwendete Miniatur-Wohncontainer aus Johnny Mnemonic (1995); Innengerüst aus Stahl, Epoxy-Ton, erkrankte Silikonprothetik, Acrylpolymer mit schwebendem Farbstoff, SFX und verwitternde
Farbe, verschiedene Metallteile
Courtesy of the artist und einer Privatsammlung, Wien[/caption] Im Science-Fiction-Film summieren sich Kulisse, Requisiten, Prothesen, Special Effects und künstliche Tränen zu einem magischen Moment zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Doch die Gefühle des Publikums sind in jedem Fall real. In Erwartung der von dem amerikanischen Futuristen Ray Kurzweil prophezeiten „Singularität“, die durch das exponentielle Wachstum von Technologie und durch selbstlernende, superintelligente maschinelle Schnittstellen herbeigeführt wird, rücken die kühnsten und schrecklichsten Visionen der Science-Fiction in den Fokus ernst zu nehmender wissenschaftlicher Überlegungen. Mit der Erweiterung bzw. „Optimierung“ des menschlichen Organismus durch tragbare oder implantierte Computertechnologie, Nanotechnologie, gedächtniserweiternde Drogen („Nootropics“) oder der Vision der Kryokonservierung (dem Einfrieren hochentwickelter Lebewesen) müssen gängige Vorstellungen und Lebensentwürfe völlig neu definiert werden – von Geschäftsmodellen bis zum menschlichen Lebenskreislauf, einschließlich des Todesbegriffs. Die Künstlerin Aleksandra Domanović betrachtet die Geschichte und Entwicklung von Technologie aus einer genderbewussten Perspektive. Für ihre Installation Things to Come (2014) bilden Requisiten aus Science-Fiction-Filmen das Ausgangsmaterial für illustrative Darstellungen, die symbolhaft für die weiblichen Filmcharaktere stehen und ihre Rollen mitdefinieren: Der Mantel der Replikantin Zhora aus Blade Runner (1982); Officer Ellen Ripleys „Power Loader“ aus Alien (1979); Tachikomas aus Ghost in the Shell (1995), ein MedPod aus Prometheus (2012) oder Joshua, der Rollstuhl-Roboter aus Demon Seed (1977). Die menschliche Figur ist ausgelöscht, ein Nachleben haben nur die technologischen Tools. Die großformatigen, skulptural anmutenden Drucke auf transparenten Folien nehmen unmittelbar Bezug auf die Zelluloid-Folien, die zum Zeichnen von Animationsfilmen verwendet werden. Domanović spricht damit einen weiteren Aspekt der Rolle von Frauen im Kontext von Filmproduktion an: Während die kreative Arbeit, das Entwerfen und Zeichnen der Figuren in den amerikanischen Animationsstudios ausschließlich Männern vorbehalten war, war das repetitive Ausmalen von Umrissen und Hintergründen Frauenarbeit. [gallery columns="2" size="full" type="square" ids="6671,6672" orderby="rand"] Einen eindeutigen Bezug zur Science-Fiction hat auch die Arbeit der Künstlerin Dora Budor, die ihre Skulpturen und Installationen aus tatsächlichen materiellen Relikten aus Hollywood-Produktionen entwickelt: Für ihre Arbeiten One Million Years of Feeling Nothing und Our Children Will Have Yellow Eyes (beide 2015) verwendete sie Prothesen oder architektonische Miniaturen, die On-Screen durch Materialimitation, künstliche Verwitterung oder Perspektive im Film real wirken, wie Miniatur-Wohncontainer aus den Filmen Das fünfte Element (1997) und Johnny Mnemonic (1995). [caption id="attachment_6673" align="alignleft" width="768"]

Clemens von Wedemeyer, A Recovered Bone, 2015
3-D-Druck in Sand, Podest, Lichtstrahler, Video (Farbe, ohne Ton); Dimensionen variabel
Courtesy of the artist and KOW, Berlin
Im Hintergrund:
Dora Budor, One Million Years of Feeling Nothing, 2015
Im Film verwendete Miniaturgaragen aus Das fünfte Element (1997); Innengerüst aus Stahl, Epoxy-Ton, erkrankte Latexprothetik, Acrylpolymer mit schwebendem Farbstoff, SFX und verwitternde Farbe, verschiedene Metallteile
Courtesy of the artist und einer Privatsammlung, Zürich[/caption] Clemens von Wedemeyer zitiert für seine Installation A Recovered Bone (2015) aus einem der vielleicht bekanntesten Science-Fiction-Filme: Arthur C. Clarkes und Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum (1968). Der Künstler bezieht sich dabei konkret auf eine Szene des Films, in der ein Hominide einen Knochen als Werkzeug und Waffe verwendet – die erste aus sich selbst gewonnene „Technologie“ der Menschheit. In einer Geste des Triumphs in die Luft geschleudert, transformiert sich der Knochen im Flug zu einem Satelliten. Die Form des Knochens wurde vom Künstler mit 3-D-Modeling rekonstruiert und mit Sand 3-D-gedruckt – ein artifizielles Zeugnis fiktiver Ereignisse. Ein Beitrag von Marlies Wirth, Kuratorin Digitale Kultur und Kustodin Sammlung Design, MAK; Kuratorin der Ausstellung ARTIFICIAL TEARS. Singularität & Menschsein – Eine Spekulation. Sofern nicht anderes angegeben, alle Fotos © MAK/Aslan Kudrnofsky ARTIFICIAL TEARS. Singularität & Menschsein – Eine Spekulation. bis 1. Oktober 2017 MAK-Ausstellungshalle www.viennabiennale.org KünstlerInnen: Jean-Marie Appriou, Dora Budor, Mariechen Danz, Aleksandra Domanović, Cécile B. Evans, Genghis Khan Fabrication Co., Daiga Grantina, Matt Mullican, Sean Raspet, Sarah Ancelle Schönfeld, Jeremy Shaw, Kiki Smith, Clemens von Wedemeyer